von Eva Marie Stegmann; Foto: Thomas Osterfeld erschienen in der NOZ 27.06.2024,hierzu NDR-Beitrag

„Ja, was ist denn hier los?“ – Frank, Spitzname „Attacke“, steuert auf den Speisesaal in der Tagesunterkunft für Osnabrücker Wohnungslose zu. Es riecht nach Pizza, Frank streckt die Nase in die Luft und sagt „hmmmmm“. Aber der fast zwei Meter große Mann im blauen T-Shirt kommt nicht weiter, denn zwischen Eingang und Speisesaal steht eine Entourage, Reden werden gehalten.

Ja, was ist denn hier los? Es ist der Tag einer großen Premiere. Seit dieser Woche hat nämlich die Tageswohnung der Sozialen Dienste neue Köche. Ab jetzt kocht und liefert das Team der Katholischen Familienbildungsstätte, kurz Fabi, das Essen.

Qualifizierungsprojekt „Gastro Plus“ in Osnabrück soll fit für Job machen

Das Küchenteam besteht nicht nur aus Professionellen, wie dem stellvertretenden Küchenchef Maik Eppink, der als Teil der Entourage, die Frank „Attacke“ den Weg abschneidet, im Kochoutfit gerade der Rede von Tageswohnungs-Leiter Thomas Kater lauscht. Sondern auch aus 19 Menschen, die lange ohne Arbeit waren und in dem Qualifizierungsprojekt „Gastro Plus“ der Fabi in Kooperation mit dem Jobcenter den Grundstein für einen neuen Weg legen wollen. Das Ziel: Ein halbes Jahr kochen und danach, im Idealfall, der Weg in die Gastronomie.

Es sind Menschen, für die vieles nicht ideal gelaufen ist im Arbeitsleben, die nun helfen, eine warme Mahlzeit für Menschen zuzubereiten, die kein Zuhause haben, in dem sie zur Ruhe kommen können.

Zum Beispiel Nadine Hoffmann, 44 Jahre alt, die lange in der Industrie gearbeitet hat, in der Produktion, viel Lärm, Staub, dann krank wurde und vorher absolut nichts mit Küche am Hut hatte. Sie trägt nun die Prinzregententorte für die Wohnungslosen, die sie mitgebacken und dekoriert hat. „Ich hätte ja nie gedacht, dass ich mal so etwas hinbekomme“, sagt sie. Seit Mai ist sie mit dabei.

„Die Story mit der Torte ist verrückt“, schaltet sich Frank Weigang ein, „Maik kam als Scherz damit um die Ecke, eine andere Kollegin, die viel backt, sagte sofort ja. Wir haben viele Torten probiert, bis wir uns geeinigt hatten. Schade, dass es jetzt vorbei ist, das war lecker!“ Der 49-Jährige mit der Schiebermütze ist einer, dessen Sätze oft in einer Pointe enden.

In der Fabi-Küche ist er ein alter Hase, seit Mitte 2023 ist er dabei und bekam eine Verlängerung. Als er dann erzählt, dass er vor dem Projekt zurückgezogen lebte, fast depressiv, unsicher, ob er überhaupt „irgendwie noch sozial drauf“ ist, ist das schwer zu glauben.

Bis 2019 war er Industrieschrauber, dann hatte er einen Bandscheibenvorfall. Mit Wiedereingliederung war nichts, eineinhalb Jahre war er zu Hause, Corona kam. Als die Betreuerin beim Jobcenter die Maßnahme der Fabi vorstellte, sei er ganz aus dem Häuschen gewesen. „Küche?Meine Augen leuchteten!“ Mit 14 Jahren habe er schon in der Küche gestanden, das liege ihm. „Ich glaube, anfangs hätten keiner gedacht, dass ich mich so mache. Ich bin hier aufgeblüht, von der Raupe zum Schmetterling geworden.“

Der stellvertretende Fabi-Küchenchef Maik Eppink sagt:„Man erlebt hier viele Schicksale, viele blühen so auf wie Frank. Es ist eine Arbeit, die Sinn gibt.“ „Gastro Plus“ wird sozialpädagogisch betreut von Annette Lührmann-Sellmeyer. Sie, Fabi-Leiterin Juliane Huesmann und die stellvertretende Leiterin Ingrid Ketteler sind auchgekommen zum kleinen Premierenfest.

Auf dem Weg erklärt Thomas Kater, der Leiter der Tageswohnung, wie es zur Zusammenarbeit mit der katholischen Familienbildungsstätte kam. „Es ist sinnvoll, das Projekt der Fabi zu unterstützen. Das ist, was wir wollten“, sagt er. Wohnungslos zu werden oder arbeitslos, das könne jedem passieren. Es muss nur was im Leben schieflaufen, man muss nur einmal falsch abgebogen sein.

Für Tageswohnungsgast Frank „Attacke“ ist der Weg jetzt frei. Zum Speisesaal. Er beißt in seine Pizza. Die hat kein anderer gemacht als Frank Weigang. „Hier komme ich wieder her, so gut war das Essen noch nie“, sagt er mit einem Zwinkern.

Auch Frank Weigang ist zufrieden: „Die direkte Rückmeldung und das Wissen, dass man Leuten hilft, fühlen sich gut an. Beim Stahlbau früher hat nie einer gesagt: ‚Oh, die Halle hast du aber gut gemacht.‘“

Gemeinsamkeiten zwischen Wohnungslosen und Arbeitslosen

Draußen vor der Tageswohnung tauschen sich Fabi-Chefin Juliane Huesmann und Tageswohnungsleiter Thomas Kater aus. Beide stellen fest, dass sich etwas verändert habe seit Corona. „Psychisch geht es den Leuten, die zu uns kommen, deutlich schlechter“, sagt Kater.

Viele Arbeitslose lebten stark zurückgezogen, sagt Juliane Huesmann. Und Kater stellt fest: Auch die Wohnungslosen haben ein großes Problem mit Einsamkeit. Was Fabi und Soziale Dienste machen, ist, ihnen eine Anlaufstelle zu bieten, Hoffnung, Sinn, wenn es geht. Und nun machen sie es zusammen.